Herbstveranstaltung Sicherheitspolitisches Forum Zentralschweiz vom 15. September 2025 mit Prof. Dr. Jérôme Endrass

Das Referat von Prof. Dr. Jérôme Endrass, forensischer Psychologe und Psychotherapeut, behandelt die Frage: Wie sicher sind wir? Er stellt fest, dass Gewalttaten im öffentlichen Raum zunehmen, darunter Anschläge mit Fahrzeugen oder Messerattacken – auch in der Schweiz. Betroffen sind nicht nur Zivilpersonen, sondern zunehmend auch Einsatzkräfte der Blaulichtorganisationen. Grundsätzlich ist die Schweiz sehr sicher, dennoch besteht Verbesserungspotenzial. Statistiken zeigen, dass Tötungsdelikte in den letzten 15 Jahren stabil und auf niedrigem Niveau geblieben sind, während Raub, Vergewaltigung und schwere Körperverletzungen deutlich zugenommen haben. Allerdings wirken diverse Parameter auf die Statistiken beeinflussend, wie beispielsweise das Anzeigeverhalten von Opfer oder auch die Kapazitäten von Strafverfolgungsbehörden.

In der allgemeinen Bevölkerung findet die meiste Gewalt im häuslichen Bereich statt: Weltweit ist jede fünfte Frau Opfer häuslicher Gewalt, und über 40 % der Vergewaltigungen geschehen im häuslichen Kontext. Während weltweit junge Männer am häufigsten Opfer von tödlicher Gewalt werden, sind in der Schweiz Frauen die häufigsten Opfer. Es wird vermutet, dass es leichter ist, Gewalt von Männern gegen Männer zu unterbinden als die Gewalt, die zu Hause stattfindet.

Ein besonderes Phänomen, das ebenfalls besonders junge Männer betrifft, ist die Incel-Bewegung (involuntary celibacy). Incels sind Männer, die unfreiwillig enthaltsam leben und Frauen für ihre Situation verantwortlich machen. Sie glauben, Frauen seien oberflächlich und bevorzugten nur attraktive Männer. Diese Männer vernetzen sich online, schüren Frauenhass und verherrlichen Gewalt. Es gibt wenig dokumentierte, schwere Gewalttaten von Incels. Die bekannten werden allerdings in der Community gefeiert und es besteht die Sorge von Nachahmungstätern. Psychosoziale Probleme wie Isolation, Einsamkeit, Frustration, Wertlosigkeitsgefühle und Depressionen sind bei Incels verbreitet. Studien zeigen, dass Depressionen und Suizidgedanken bei Incels um bis zu 30 % häufiger auftreten. Gesellschaftlich wird die Situation aus der Sicht der Incels dahingehend zugespitzt, dass in emanzipierten Gesellschaften das Bedürfnis, Beziehungen einzugehen, zwischen den Geschlechtern etwas auseinanderklafft. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Männer eher Beziehung anstreben und auch zu Kompromissen in der Wahl der Partnerinnen bereit sind, was bei Frauen weniger der Fall ist.

Ein weiteres Thema, welches die Schweiz beschäftigt, ist die Gewalt gegen Behörden. Prof. Endrass unterscheidet drei Typen von Querulanten: den Pseudo-Querulanten, der eine Lösung sucht und meist harmlos ist; den echten Querulanten, der streitlustig und fixiert ist, aber selten gefährlich; und den Risiko-Querulanten, der vermutlich weniger als 1 % ausmacht, aber in mehreren Dimensionen auffällig und gefährlich ist. Diese Personen treten teilweise auch als Staatsverweigerer in Erscheinung und eskalieren kleine Konflikte zu Staatsfeindschaften. In den USA ist diese Kategorie für viele Staatsterrorakte verantwortlich. Typischerweise handelt es sich um Männer über 40 mit krimineller Vorgeschichte und psychischen Problemen.

Auch Gewalt an Schulen ist ein Thema. Schulattentate sind zwar selten, aber gesellschaftlich traumatisierend. Täter fühlen sich oft als „Rächer der Gemobbten“ und sind in entsprechenden Ideologien vernetzt.

Beim Extremismus zeigen Statistiken, dass die meisten Terroranschläge weltweit in Westafrika durch den IS verübt werden, während Anschläge in Europa medial stärker beachtet werden. In Deutschland gibt es die meisten Anschläge in Europa. Neu ist, dass viele Täter keiner klaren Ideologie mehr folgen, sondern sich aus einer „Extremismus-Salat-Bar“ bedienen, also verschiedene Ideologien und Verschwörungstheorien kombinieren. Auch Incels spielen hier eine Rolle. Psychologisch entsteht Extremismus aus einer vorhandenen Gewaltbereitschaft, die durch Ideologien und Verschwörungstheorien legitimiert wird. Interessant dabei ist die Erkenntnis, dass je besser man eine solche Person wieder in die Gesellschaft integriert – ihr einen Platz in der Gemeinschaft gibt – desto eher kommen sie wieder weg von extremistischem Gedankengut. In der Schweiz liegt der Anteil antisemitischer Einstellungen bei 23 %, wird aber selten offen gezeigt.

Zusammenfassend gilt: Eine Verschwörungsmentalität führt zu einer Ideologie, und gekoppelt mit Gewaltbereitschaft resultiert daraus Gewalt.

Dieser Abend hat zum Nachdenken gebracht. Vielerorts fehlt Geld für (Schul-)Psychologen und andere niederschwellige Angebote, oder man setzt aus Unkenntnis die Prioritäten falsch. Dennoch zeigt sich Jérôme Endrass für die Schweiz optimistisch – wir machen vieles richtig und klüger als das Ausland, indem wir auch Pragmatismus, direkte Kontakte und Augenmass setzen.